Ich sehe was, was ihr alle seht

Ich sehe was, was ihr alle seht


„Ich wusste, dass ich mein Gewicht unter Kontrolle bringen musste, wenn ich nicht an Überfettung sterben wollte, bevor ich das Ei gefunden hatte. Deshalb aktivierte ich kurz entschlossen die freiwillige OASIS-Fitness-Sperrsoftware an meiner Anlage. Und bereute die Entscheidung auf der Stelle.“ (Aus Ready Player One: 186)

So beschreibt Wade Watts, unser fiktiver Held aus Ready Player One, seinen Kampf gegen das körperliche Übergewicht. Der Computer überwacht seine Vitalwerte, zählt die Kalorien und weigert sich kurzerhand auch mal Junkfood liefern zu lassen. Wie praktisch, dass es dabei keinerlei Entrinnen gibt, denn das Weight Watchers der Zukunft lässt kein Hintertürchen offen. Ich kann lediglich in einem vorgegebenen gesunden Menü an Malzeiten auswählen, welches vom System für mich vorgeschlagen wird. Das System ist mit dem OASIS-Account verknüpft, es ist zwecklos einfach kurzerhand die technischen Geräte auszutauschen. Wählt sich Wade Watts also in die OASIS ein, ist es ihm nur möglich, an seinem virtuellen Alltag teilzunehmen, wenn er zuvor sein Fitnessprogram absolviert hat. Und wenn man doch mal schummelt? Tja, dann wird die Ladung an Sport erhöht. „Der reine Sadismus in Bits und Bytes gegossen“. Sadismus ist es allerdings nur so lange, bis die morgendliche Peitsche zur Gewohnheit wird, bis der Schweinehund endlich totgetrampelt am Boden liegt.

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Klingt auf den ersten Meter gar nicht so verkehrt. Mir bleibt nichts Anderes übrig, als mich zu bewegen, wo ich doch durch Job, Hobby, Studium und anderen Festivitäten an meinen Sitz gefesselt bin – einzige Bewegungsmöglichkeit die Rollen am Stuhlende. Klar man hat halt auch nicht immer Zeit Sport zu machen. Mal ist es zu kalt, ein anderes Mal einfach zu warm draußen. Fitnessstudio auch irgendwie öde, wenn auch nützlich. Wer mich also kennt, weiß, dass es meine Zeit und mein Alltag nicht immer zulassen auf meine Gesundheit zu achten. Dass ich nicht immer wie geplant nach der Arbeit zum Sport gehe und mich doch abends hin und wieder von meinem Lieferhelden retten lasse. Und wer kennt mich schon besser, als meine persönliche OASIS?

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Zum Beispiel meine Lieferapps, die wissen, bei welchem Italiener ich am liebsten die Pasta esse und mir schon beim Start des Systems mitteilen, ob mein Lieblingsladen schon geöffnet hat. (Zum Glück kann ich hier aber auch vorbestellen, puh!). Aber auch Netflix, das mir freundlicherweise nach Beendigung einer Serie schon eine neue vorschlägt, bevor ich am Ende nicht mehr weiß, was ich mit meiner vielen neuen Freizeit anfangen soll und noch ein Buch zur Hand nehme (Gott bewahre!). Schließlich versichert sich Netflix beim Binge Watching auch regelmäßig, ob ich noch aufmerksam dabei bin oder innerhalb einer Folge von The Walking Dead selbst zum Zombie geworden bin. Zuvorkommend finde ich zudem mein Amazon Konto. Wie nett, dass ich auch hier ständig neue Vorschläge zu Produkten, Musik, Filme oder Abos erhalte, die mir gefallen könnten, die ich nicht brauche aber trotzdem haben muss. Da bestellt man einmal seine Kontaktlinsen über Amazon und wird danach wöchentlich daran erinnert, dass man unbedingt Nachschub braucht (Ich habe noch zweieinhalb Monate Zeit dafür, Mensch!!). Aber der One-Click-Buy und neuerdings auch das Dash-Board machen dabei alles noch einfacher, denn nachdem mein Deo aufgebraucht ist, kann ich durch einen Knopfdruck im Badezimmerschrank mirnichtsdirnichts neue liefern lassen. Und das für fast jedes Produkt, das man braucht, will oder einfach nur kaufen, kaufen, kaufen will.

Apropos Amazon, ich werde daran erinnert, dass ich neue Zahnbürsten benötige. Vielleicht eine, die durch eine App steuerbar ist? Und das nur für fast 250 Euro – Schnapper! Philips verspricht hier ein intelligentes Coaching mit Erinnerungsfunktion zum Bürstenkopfwechsel. Danke Philips, danke Amazon, danke an alle, die meinen Alltag bereits nach dem Aufstehen koordinieren! Praktisch wäre es natürlich auch, wenn diese Zahnbürste mein Zahn-Putz-Zahn-Druck-Verhalten direkt an meinen Zahnarzt weiterleiten könnte. Vielleicht durch Alexa, meine neue beste Freundin! By the way, mein Zahnarzt nutzt Alexa, um Musik abzuspielen. Sicherlich kann man da also was machen. Wie viel Zeit und Gerede uns erspart bliebe, ich könnte direkt meinen Mund aufmachen. Oder eben auch nicht…

Philips bietet diesen Service neuerdings auch im Rasurbereich an. Die „Rasurdaten“ (ich glaube, ich habe dieses Wort zuvor noch nie benutzt) werden direkt an die App weitergegeben. Ich frage mich an dieser Stelle, wie ich diese anschließend nutzen kann? Kann ich diese an meinen Barbier weitergeben, so dass er mir endlich sagen kann, warum der Bart ungleichmäßig aussieht? (Falls irgendjemand, der das hier liest, Erfahrung damit hat, freue ich mich über jegliche Aufklärung bzgl. Bart-Evaluation.)

Das Internet macht es also möglich, es erleichtert unseren Alltag. Es weiß, was wir brauchen, bevor wir es selbst wissen. Wir erhalten viele Vorschläge und noch mehr Möglichkeiten – oder eben nicht? Wird das Angebot (in welchem Bereich auch immer) immer größer und die Möglichkeiten vielfältiger und gleichen wir uns nur immer mehr der grauen Masse an und ertrinken im Big Data-Meer. Wer oder was kennt uns? Und wie gut? Sind wir am Ende Lieferheld und Co nur ausgeliefert?

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Bitte versteht mich nicht falsch. Ich habe ebenfalls einen Netflix Account und auch einen E-Reader. Ich nutze ein Spottify-Konto und höre gerne vorgeschlagene Künstler, die angeblich (auch wenn nicht oft) meinen Musikgeschmack treffen. Was ich mit meinem Beitrag bezwecken wollte, war, über mein eigenes Konsumverhalten nachzudenken und mich zu fragen, ob mich meine OASIS wirklich so gut kennt und genau weiß wer ich bin, oder ob ich vielmehr durch meine OASIS zu dem Menschen geworden bin, zu dem sie mich gerne hätte und vielleicht auch gemacht hat. Klingt dramatisch und überzogen, ist es auch. Aber genau so schreibt sich auch Ready Player One und dann macht man sich eben doch seine Gedanken. Dann liest man neben all den dystopischen Gedanken und Sci-Fi-Überlegungen Elemente, die gar nicht so weit von unserer digitalen und auch analogen Welt entfernt sind.

Vielleicht ziehe ich daher meine VR-Brille zwischendurch auch einfach mal ab.


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